Audi Fahrwerksentwicklung am Nürburgring
Wer steckt eigentlich hinter dem Fahrwerk, durch das sich Audi auszeichnet? Und wessen Popometer entscheidet letztendlich über zu wenig Komfort oder zu viel Dynamik? Blog-Autorin Julia Hecker war mit einem Team der Audi-Fahrwerkentwicklung am Nürburgring
Respekt vor der Nordschleife?
Helm auf, feuerfester Anzug an – los geht’s! Respekt vor der Nordschleife? Den habe ich definitiv, zugeben würde ich das natürlich nicht – zumindest nicht vor den „Jungs“, wie Victor Underberg, Leiter Entwicklung Fahrwerkeigenschaften, Fahrdynamik/Fahrkomfort, sein Team nennt.
Auf die Frage, ob ich einen sensiblen Magen hätte, antworte ich meinen Kollegen bevor es losgeht: „Nein nein, Achterbahnfahren geht ja schließlich auch.“ Dass diese Frage tatsächlich eine der ersten in diesem Zusammenhang war, hätte ich in dem Moment wohl besser mal kritischer bewertet. Aber von vorn.
Audi Fahrwerksentwicklung
Trüb und grau ist es – für die Eifel aber nichts außergewöhnliches. Das Team, das ich am Nürburgring treffe, stammt aus der Audi Fahrwerksentwicklung. Es ist verantwortlich für die richtige Auslegung der Fahrwerkeigenschaften, also das Maß an Dynamik und Komfort im Fahrverhalten. Es ist aber nur ein Team von Dutzenden, die am Fahrwerk des neuen Audi A4 arbeiten, denn für das perfekte Fahrgefühl zählt am Ende das Gesamtpaket. Neben den Grundeinstellungen haben unter anderem auch Reifen, Lenkung, Bremsen und Regelsysteme Einfluss auf das Fahrwerk. „Alles muss wie ein Uhrwerk funktionieren. Und passt nur ein Parameter nicht, macht dieser eine Punkt das ganze Auto kaputt“, verdeutlicht mir Gero Hackenberg, zuständig für die Fahrwerkabstimmung vom Audi A4, A5 und Q5.
Abstimmfahrten „Außenrunde“
Kaum angekommen, geht´s los – mit einem Prototypen auf meine erste Außenrunde, so nennen die Entwickler eine Abstimmfahrt quer durch die Landschaft rund um den Nürburgring vorbei an Wäldern, Wiesen und Kühen, durch 30er Zonen, Dörfer und über die Autobahn. Mein Platz: die Rücksitzbank – im Hagel von Fachbegriffen. 20er, 22er, 25er – es fallen Zahlen, viele Zahlen und noch viel mehr Fachbegriffe, mit denen ich nicht das Geringste anfangen kann. Auf dem Fahrersitz: Gero Hackenberg. Auf dem Beifahrersitz hat Markus Freitag Platz genommen. Seine Aufgabe ist es, im Anschluss an jede einzelne Abstimmungsfahrt kleinste Teilchen, Federn, Ventilscheiben und Kolben aus seinem mobilen Teilelager ins Fahrwerk – sprich dem Stoßdämpfer – einzubauen, auszubauen und zu variieren – solange bis das Popometer der beiden das Optimum auf den unterschiedlichen Strecken und bei unterschiedlichen Beladungen meldet.
Vier Jahre Entwicklung für das Fahrwerk des neuen Audi A4
Während das Team der Audi Fahrwerksentwicklung die Dämpfer neu bestückt, nimmt sich Gero Hackenberg Zeit, mir seine Arbeit zu erklären und das Geheimnis dahinter zu lüften – am Beispiel vom neuen Audi A4.
Ganz am Anfang der Fahrwerkentwicklung steht der A4-Auftrag vom Unternehmen: Schöner, runder Komfort bei Agilität und Sportlichkeit. Vier Jahre ist das her – vier Jahre! So lange hat es gedauert bis das A4-Fahrwerk basierend auf ersten Grunduntersuchungen tatsächlich zu dem wurde, wie wir es jetzt kennen.
Die ersten beiden Jahre davon gehen größtenteils auf das Konto der Entwicklung neuer Technologien im Fahrwerk. „Das Ziel ist immer technische Raffinesse – neue Technik um sich von der Konkurrenz abzuheben“, erzählt Gero Hackenberg.
Ab dem dritten Jahr kommen dann die Fahrwerkeigenschaften ins Spiel. Für mich sind es kleinste Feinheiten, für das Team, das ich heute begleite, sind es äußerst wichtige Details. Ihr Ziel: Das Audi-Fahrgefühl. Ihr Arbeitswerkzeug: verschiedensten Federn, Zusatzfedern und Stabilisatoren, sowie Funktionen und Parameter bei den geregelten Systemen.
Für jedes einzelne Derivat müssen die „Jungs“ das Fahrwerk individuell abstimmen, mehr Ladekapazität beim Avant, unterschiedliche Motoren und Leistungsklassen, Front- und Allradantrieb – alles muss bei der Abstimmung bedacht werden. Und auch ein Standard-Fahrwerk muss anders abgestimmt werden als sein sportliches Pendant oder das für ein S-Modell.
Von der ersten Planung am Schreibtisch bis zur finalen Abstimmung vergehen zwei Jahre. Zwei Jahre, in denen die „Jungs“ auf unzählige internationale Fahrten gehen – über Schwedens Schnee und Eis, auf Spaniens heißen Asphalt, über Berge und durch Täler in Österreich, über Chinas Straßen und Amerikas Highways sowie auf der Nürburgring-Nordschleife.
Fahrdynamik und Fahrkomfort, Schwingverhalten, Kurvenverhalten und Schluckverhalten
Auf einer der finalen Abstimmungsfahrten des Sportfahrwerks der neuen Audi A4 Limousine will mir Gero Hackenberg ( Audi Fahrwerksentwicklung ) , zuständig für die Fahrwerkabstimmung der B-Reihe, jetzt zeigen, worauf es wirklich ankommt.
Los geht´s! Etwa eine Stunde dreht sich alles um Fahrdynamik und Fahrkomfort, Schwingverhalten, Kurvenverhalten und Schluckverhalten.
Steil bergab geht es langsam durch eine 30er Zone vorbei an Einfamilienhäusern. Die Straße uneben. Gero Hackenbergs ganze Aufmerksamkeit liegt auf dem Schluckvermögen, das heißt: Wie reagiert das Fahrwerk auf Unebenheiten, welches Maß an Unebenheiten schluckt das Fahrwerk und wie viel wird auf die Insassen übertragen? Schlagloch. Ein kurzer, nicht zu heftiger Schlag, die Hubbewegung parallel, kein Wippen, kein unangenehmes Geräusch – die Vorder- und die Hinterachse harmonieren, die Feder und die Zusatzfeder spielen zusammen. Weiter geht’s über die kurvige Landstraße. Steile Rechtskurve – der Stabilisator reduziert das Wanken des Wahrzeugs, kein Übersteuern kein Untersteuern, das heißt, das Fahrzeug schiebt weder über die Vorderräder, noch bricht es hinten aus – das Kurvenverhalten dynamisch, aber dennoch komfortabel.
Das „Feeling im Po“
Für mich kleinste Details spielen für Gero Hackenberg ( Audi Fahrwerksentwicklung ) jetzt eine riesige Rolle und ohne die entsprechenden Hinweise, worauf er konkret achtet, würde ich vermutlich vieles davon auch nicht einmal ansatzweise wahrnehmen. Das liegt aber wahrscheinlich einfach daran, dass mein Popometer nicht dafür ausgebildet ist und mir deshalb das „Feeling im Po“ fehlt, wie es Gero Hackenberg so schön nennt. Mit der Mischung aus subjektivem Empfinden und der Meinung der Kollegen gehe die Abstimmung dann im Normalfall immer in Richtung der Unternehmensvorgaben, fasst Gero Hackenberg zusammen.
Foto 3
Nächster Stopp: Nordschleife
Zeit, den neuen Audi A4 an seine Grenzen zu bringen – und auch mich. Schon als wir das Einfahrtstor zur Nordschleife durchfahren, sind meine Hände feucht. Die Tatsache, dass ich tatsächlich mit feuerfestem Anzug und Helm auf dem Beifahrersitz sitze, hat nur noch mehr zu meiner Verunsicherung beigetragen. Wissen will ich es jetzt aber trotzdem. Noch kurz über das Funkgerät bei der „Streckenwache“ angemeldet, los geht´s. Gas.
Mit Vollgas geht es über die knapp 21 Kilometer lange Nordschleife, durch die hohe Acht, das Karussell und die zahlreichen Kurven. Gero Hackenberg aus dem Team der Audi Fahrwerksentwicklung erklärt mir zwar genau, worauf er achtet, darauf konzentrieren kann ich mich jetzt aber nicht wirklich. Mir ist heiß, mein Kopf ist schwer, mein Magen flau. Kurzes Anbremsen – für eine hundertstel Sekunde hebt es mich aus dem Sitz und schon folgt die nächste Bremszone. Als wär nichts gewesen, gleitet der A4 ruhig weiter über die Rennstrecke, kein Wippen, kein Schaukeln, nichts! Rechtskurve. Mein Magen wird immer flauer.
Optimales Verhältnis aus Fahrdynamik, Fahrkomfort und Sicherheit
Nach circa acht Minuten auf der Strecke ist es überstanden – zumindest die erste von drei Runden – meinen drei Runden. Nach diesem Triple werfe ich das Handtuch. Mir ist übel, richtig übel. Für die „Jungs“ geht die Arbeit nahtlos weiter.
Mein Fazit: Das Fahrwerk top, mein Magen flop. Bis das Ziel, ein optimales Verhältnis aus Fahrdynamik, Fahrkomfort und Sicherheit beim Audi A4 letztendlich erreicht ist, wurden verschiedenste Federn, Stabilisatoren und kleinste Teilchen im Stoßdämpfer eingebaut, ausgebaut und variiert. Das passiert direkt vor Ort an der Teststrecke in der Audi-Werkstatt und im Abstimm-LKW, auf den Abstimm- und Erprobungsfahren weltweit, aber auch „zuhause“ in Ingolstadt. Nach zwei Jahren und 45 dieser einzelnen Schritte sind die Entwickler mit dem Sport-Fahrwerk der neuen A4 Limousine rundum zufrieden. Alle anderen A4-Fahrwerke haben am Ende einen ähnlichen Weg hinter sich.
Dass ich übrigens nicht die erste bin, deren Magen auf der Nordschleife streikt, beruhigt mich. Und vielleicht werde ich es eines Tages doch noch einmal wagen, eine Runde auf der Nordschleife zu drehen, denn Spaß hat es allemal gemacht und beim zweiten Mal ist es laut den „Jungs“ auch nur noch halb so schlimm.
Ein Artikel des Audi Deutschland Blog´s Autor: Julia Hecker
13 Kommentare
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